Bäcker oder Nerd?

„Ich bin eine Bäckerin“...

 

Beinahe vorwurfsvolle betitelte mich kürzlich wieder mal eine Freundin als „du Nerd wieder“, als ich ihr erklärte, dass Impulskontrollübungen mit ihrem 5monatigen Aussi nun wirklich keinen Sinn machen.

Eine weitere Freundin gar meinte, dass ich nun völlig übertreibe, als ich ihr kurz zeigte, dass Geräusche Training nicht klappen wird, wenn der Hund die Wahl hat, an Futter nur dann zu kommen, wenn er ein blödes Geräusch selbst erzeugt.

 

So gesehen bin ich vielleicht doch ein Nerd?  Denn ohne Kenntnis der genauen neuronalen Prozesse, ohne das exakte Wissen darüber, wie Lerntheorien, die biologischen Vorgänge und auch die Entwicklung des Gehirns von Säugetieren so ablaufen, also ohne die Wissenschaft, würde ich sicher nicht bedürfnisorientiert trainieren können.

Wissenschaft ist nicht in Stein gemeißelt, sie lebt, sie lernt dazu, eröffnet neue Wege, irrt bisweilen und revidiert.

Was gestern noch galt, ist manchmal heute schon ein Alter Hut.

Aber, sie basiert weder auf "Meinungen", jahrelangen "Erfahrungen" noch sonstigen "Glaubenssätzen". Ich bilde mich daher ständig, beinahe nerdig 😉, weiter.


Es hilft mir nicht, wenn ich so ein paar Schlagwörter über positive Verstärkung kenne, aber nicht weiß, dass die Fähigkeit zur Impulskontrolle nun mal beim Welpen noch nicht vorhanden sein kann, da sie sich erst mit der Entwicklung im Präfrontalen Cortex im Laufe der Zeit bilden wird.

Der junge Aussi kann demnach nicht einfach so mit plötzlich auftretenden Umweltveränderungen umgehen. Üben wir nun in dem Alter das Warten einfach so, müssen wir zwangsläufig hemmen. Daraus folgt sehr schnell ein Teufelskreis aus Frustration beim Junghund, die sich wieder in „unpassendem“ Verhalten zeigen wird und wir noch mehr hemmen „müssen“. Das bedeutet nun nicht, dass der Jungspund keine Übungen hierfür bekommt, aber ich trainiere vorausschauend mit dem Wissen, dass er das ein oder andere eben noch gar nicht leisten kann, selbst wenn er wollte.

 

Es nützt mir nicht viel, wenn ich denke, der Hund kann ja wählen, ob er das blöde Geräusch erzeugen will oder nicht, wenn mir nicht klar ist, dass Futter für Tiere kein „ich gönn mir jetzt mal eine Schokolade“ ist, sondern ein biologisches Grundbedürfnis, deren Erhalt mit einer Kosten-Nutzenberechnung einhergeht. 
Das Tier hat damit also eben keine Wahlmöglichkeit, denn es geht ums nackte Überleben. Ja, denen die jetzt schmunzeln möchte ich kurz in Erinnerung rufen, dass wir Hunde von uns abhängig gemacht haben und sie nie, wirklich nie wirklich wissen können, ob es später noch mal etwas Fressbares von uns geben wird. Die Folgen eines solchen Trainings sind dann eher Schlinger oder Mäkler, denn sie haben gelernt, dass Futter bisweilen mit Stress und blöden Geräuschen für sie verbunden ist. 

 

Es wird nicht gut klappen, wenn ich zwar weiß, dass Alleine bleiben geübt werden muss, aber mir nicht bekannt ist, wie ich Stress bei Hunden jenseits von Lautäußerungen oder Zerstörung erkenne oder gar der Meinung bin, dass ein Tier sich schon mit der Zeit daran gewöhnen wird. Wenn ich die Voraussetzungen dafür, wie Gewöhnung funktioniert nicht kenne oder die neuronalen Vorgänge von Stress nur in Schlagwörtern, wird ein solches Training keinen Erfolg haben und der arme Hund ein Leben lang mehr oder weniger stark leiden.

Diese Liste ließe sich endlos fortführen. 

 

Ich sehe das eher so: 
Ich habe Hunger und möchte ein Brot haben. Ich kann eines in irgendeiner Backfabrik kaufen. Diese werden meist nicht von kundigem Bäcker*innen hergestellt, sondern es werden halt alle möglichen, oft künstlichen, Fertigmischungen zusammengerührt und so schnell und günstig wie möglich gebacken. Das kann ich essen, stillt sicherlich Hunger und erfüllt damit vorrangig seinen Zweck.

Ich kann mir aber auch ein Brot eines ausgebildeten Bäckers holen, dessen Inhaltstoffe keine künstlichen Zusätze haben, dass zudem auch noch besser schmeckt. Stillt am Ende aber ebenso meinen Hunger.

Bei dem Backfabrikbrot werde ich dauerhaft unter Umständen das ein oder andere gesundheitliche Problem bekommen, wir wissen alle, was die vielen künstlichen Zusatzstoffe anrichten können. Und, ich werde keine Freude haben, es schmeckt halt nicht besonders, es erfüllt nur seinen Zweck. 

Das Bäckerbrot hingegen erhält meine Gesundheit und macht mir ein gutes Gefühl. 

 

Ich bin demnach doch kein Nerd, sondern nur ein ausgebildeter Handwerker*in, die sich dafür interessiert, wie welche Hefe und welches Korn sich verhalten, um am Ende zu einem leckeren Brot zu führen.

Und das bin ich den Menschen, die hilfesuchend zu mir kommen, dafür gutes Geld bezahlen, auch schuldig. 

In diesem Sinne…guten Appetit 🐕‍🦺 🥖